Unterwegs in der Twilight Zone

Die Lyngenalpen

Die Lyngenalpen

Montag – 4. Juli: Heute morgen in meinem Hotelzimmer in Tromsø habe ich noch kurz überlegt, ob ich meinen Aufenthalt nicht doch einfach um 24 Stunden verlängern und einen Ruhetag in der Stadt einlegen soll. Vielleicht hätte ich es einfach machen sollen – mein Tag wäre mit Sicherheit angenehmer verlaufen.

Dabei fing alles so gut an: Ich wollte von Tromsø nach Lyngseidet, ein Dorf auf der Westseite des Lyngenfjords, der bekannt ist für sein wunderschönes Bergpanorama mit den schneebedeckten Lyngenalpen. Auf der E8 nach Westen raus aus Tromsø hat mich der Rückenwind angetrieben und obwohl einige lange und gemeine Steigungen dabei waren kam ich sehr schnell voran. Dann bei der ersten Pause aber der Schock: Ich hatte meine Trinkflaschen vergessen! Eine Schrecksekunde später fiel mir zum Glück ein, dass ich sie nur für den Transport raus aus dem Hotel in den Rucksack gepackt hatte. Alles gut also, es konnte weitergehen. Nachdem die E8 sich in Form eines weiteren knackigen Anstieges mit einem Tritt in den Hintern von mir verabschiedet hatte, bog ich links ab auf die N91, die zunächst steil bergauf führte.

Der Fähranleger von Breivikeidet

Der Fähranleger von Breivikeidet

Hinzu kam – da ich schon seit geraumer Zeit nach Nordosten fuhr – ein heftiger Gegenwind. Dazu war die N91, die mich auf direktem Weg durch ein Hochtal unter den Ausläufern der Lyngenalpen nach Breivikeidet zur Fähre bringen sollte, schlecht: eine aneinandergereihte Reihe von Schlaglöchern, und kilometerlange Abschnitte mit Bauzonen. Das bedeutet: 500 Meter schlechter Asphalt und 100 Meter Schotterpiste im Wechsel. Endgültig keine Lust mehr hatte ich dann auf den letzten 500 Metern zum Fähranleger. Hier gab es gar keine Straße mehr, sondern nur noch Schotter, da der ganze Bereich gerade neu gebaut wurde. Die Wartezeit auf die Fähre verbrachte ich zusammengekauert im Windschatten meines Anhängers, der an einem Schild mit einer Übersicht der Übernachtungsmöglichkeiten in der Lyngen-Region lehnte. Ich suchte mir einen Gasthof in Lyngseidet aus und rief direkt mal an. Leider war die Telefonnummer nicht mehr aktuell, so dass ich auf gut Glück dort vorbeifahren musste.

Der Kjosenfjord

Der Kjosenfjord

Die nächste Teilstrecke war eine Wohltat: Den Kjosenfjord entlang ging es meistens bergab nach Lyngseidet – bei guten Straßenverhältnissen und wenig Verkehr. An meinem Tagesziel angekommen gab es aber auch den Gasthof zur fehlenden Telefonnummer nicht mehr, obwohl er eigentlich direkt an der N91 hätte liegen sollen. Vielleicht hätte ich schon misstrauisch werden sollen, als es auf der Internetseite hieß, dass man den ganzen Laden mieten oder noch besser kaufen könne. Auch sonst kein Hinweis auf eine Übernachtungsmöglichkeit. Also habe ich das zweite Hotel im Ort angerufen, um herauszufinden, wohin ich denn radeln müsste, um wenigstens dort unterzukommen. Schlauerweise hatte ich mir gleich zwei Telefonnummern notiert. Die erste – Überraschung! – war nicht mehr aktuell, bei der zweiten meldete sich nur ein Anrufbeantworter mit dem Hinweis, man könne den Anruf nicht annehmen, aber ich solle doch eine Nachricht hinterlassen…

Auf der Fähre nach Olderdalen

Auf der Fähre nach Olderdalen

Weil ich das für keine sehr zielführende Idee hielt und ohnehin gerade die Fähre nach Olderdalen anlegte, bin ich einfach an Bord gerollt, um mein Glück auf der anderen Seite des Lyngenfjords zu versuchen. Schnell hatte ich via Handy im Internet ermittelt, dass es direkt am Fähranleger einen weiteren Gasthof gab und man dort Zimmer mieten konnte. Dort angekommen folgte aber der nächste Nackenschlag. Auch diesen Gasthof gab es nicht mehr, er war mittlerweile in ein Asylantenheim umgewandelt worden. Also musste ich in den sauren Apfel beißen und weitere 19 Kilometer auf der schmalen, hügeligen und stark befahrenen E6 zum nächsten Campingplatz in Djupvik hinter mich bringen. Diesmal wieder bei starkem Gegenwind.

Da ich nun ohnehin schon viel weiter gefahren war als ursprünglich geplant und die nächste Tagesetappe recht kurz werden würde (mit dem Rad gerade mal 14 Kilometer nach Langslett und von dort – wegen der Tunnel – mit dem Bus raus nach Skjervøy, um abends die Hurtigrute nach Hammerfest zu nehmen), hatte ich die gute Idee, einfach schon in Djupvik in den Bus zu steigen, so einen ganzen Reisetag zu sparen und diesen dann in Hammerfest in Form eines Ruhetags abzufeiern. Aber auch das sollte mir verwehrt bleiben. In Djupvik angekommen musste ich feststellen, dass es keine direkte Busverbindung gab und der letzte Bus von Langslett schon weg war (seit 19:01 Uhr !!!). Und ich muss wohl nicht erwähnen, dass auch der Campingplatz in Djupvik nicht existierte.

Eines meiner zwei Schlafzimmer für heute Nacht

Eines meiner zwei Schlafzimmer für heute Nacht

Glücklicherweise hatte ich ein paar hundert Meter vorher ein Hinweisschild auf eine Ferienhütte mit Dusche gesehen. Dorthin bin ich zurück geradelt und habe so die 93 Tageskilometer vollgemacht. Jetzt bewohne ich eine geräumige und preiswerte Hütte im Garten einer sehr netten Familie. Ich habe geduscht, meine Klamotten sind gewaschen und trocknen draußen in der Sonne. Und wenn ich morgen wach werde, dann tue ich das mit einem herrlichen Blick auf die schneebedeckten Berge auf der anderen Fjordseite.

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7 Antworten auf Unterwegs in der Twilight Zone

  1. Arne sagt:

    Hi Zini!
    So Tage braucht man wie einjeschloofene Fööß! Sauber durchgehalten! Mental ganz stark, der Mann! Ich bin trotzdem immer noch neidisch!
    Arne

  2. Alex sagt:

    Murphy’s Law gilt also auch in Norwegen… ;-)
    Aber immerhin sieht die Hütte gemütlich aus!

  3. Sabine sagt:

    Andreas! In Zukunft nenne ich Dich nur noch Ironman…aber wieder so schöne Fotos. Und von Wind ist nix zu sehen. Vielleicht denkst Du dir den nur aus…

  4. Nils sagt:

    Hei!
    Kjempefine bilder og reiseskildringer – du får sett den virkelige siden av Nord Norge. Tromsø er kjent som Nordens Paris på grunn av sitt restaurant og natteliv og for sin gjestfrihet. Jeg følger deg og Tour de France hver dag!
    God tur videre!
    Nils

  5. Joscha sagt:

    Stark Andreas! Schweinehund, Schotter, Gegenwind – sie hatten keine Chance gegen dich… Traumhaftes Panorama da an den Fjorden! Vermisse Berichte von anfeuernden norwegischen Radsportfans am Straßenrand. Da müsste doch gerade Euphorie herrschen, immerhin fährt Thor in Gelb.. Alleeeez Andreas!

  6. Gerd und Huberta sagt:

    Hallo Andreas, wir sind ganz ehrfürchtig ob Deiner Leistung.
    Ich habe gerade erst den letzten Eintrag vom 4.7. gelesen. Das liest sich ja doch sehr abenteuerlich!
    Wir wissen wovon wir reden….wir haben gerade den Ostseeküstenradweg von Lübeck bis zur poln. Grenze gemacht …6 Radtage …450 km….sehr schön! Das war für mich schon tapfer!!!
    Gerd fährt am kommenden Montag mit einem Freund von hier bis Rom….ca. 2000km!
    Mal sehen ob er es schafft. Sie haben sich diese Strecke auf 3 Wochen verteilt.
    Dir alles Gute, viel Rückenwind, wenig Steigungen, gute Herbergen, schönes Wetter und viel Mut und abends ein gutes Bier!!!
    Liebe Grüsse von Huberta

  7. Nicole Scherschun sagt:

    Solche Tage braucht man mal, um hinterher darüber erzählen zu können: Prägt sich ein, macht einen stärker und das Gute daran…es kann nur noch besser werden. :-)

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