Willkommen am Arsch der Welt

Ortseingang Skaidi

Ortseingang Skaidi

Mittwoch – 6. Juli: Die heutige, recht kurze Nacht habe ich an Bord der Hurtigrute verbracht und mich von Skjervøy zwei Häfen weiter nach Hammerfest schippern lassen. Eine anstrengende Tagesetappe im Fahrradsattel später bin ich jetzt schon auf der Zielgeraden zum Nordkapp.

Ich hätte mich gestern vielleicht doch etwas positiver über Skjervøy äußern und nicht ganz so deutlich darauf hinweisen sollen, dass das öffentliche Leben dort nach 16 Uhr im Grunde ein Ende findet. Die Strafe kam prompt: Wie das Schicksal es wollte, hatte die Hurtigrute – sonst für ihre Pünktlichkeit bekannt – diesmal zwei Stunden Verspätung. Was mir 120 weitere lange Minuten im schönen Skjervøy bescherte und kalte Füße, da der Warteraum am Hurtigruten-Kai nicht wirklich gut isoliert war.

Die MS Nordstjernen

Die MS Nordstjernen

Da war es auch kein allzu großer Trost, dass ich mit der “Nordstjernen”, einem der Schmuckstücke der Hurtigrute reisen durfte. Das Schiff ist 1956 gebaut worden. Es ist damit das älteste der Flotte und wird nur noch zeitweise im Linienbetrieb eingesetzt. Doch müde wie ich war, hatte ich kaum einen Blick für das stilvolle Ambiente, das wohl immer noch so aussieht, wie schon vor 55 Jahren. Stattdessen habe ich mich einfach im Salon auf eines der bequemen Sofas gehauen und bin sofort eingeschlafen. Als ich die Augen wieder aufschlug hatte die “Nordstjernen” auch schon in Hammerfest angelegt. Da blieb nur noch kurz Zeit, sich umzuziehen und schon stand ich um 6:00 Uhr morgens wieder draußen in Kälte und Nieselregen.

Blick auf Hammerfest und Melkøya

Blick auf Hammerfest und Melkøya

Um wenigstens ein bisschen warm zu werden und die Muskeln langsam auf die Anstiege des Tages vorzubereiten, habe ich erst mal eine kleine Runde durch Hammerfest gedreht. Direkt am Hafen musste ich zunächst am berühmten “Eisbärenclub” vorbei (The Royal and Ancient Polar Bear Society), bei dem jeder Besucher gegen eine einmalige Spende Mitglied werden kann. Zweck des Clubs ist die Finanzierung eines kleinen Museums, zu dem jedes Mitglied lebenslang freien Eintritt hat. Hammerfest ist die nördlichste Stadt Europas und eine der ältesten in Nordnorwegen. In einem Halbkreis liegt sie in einer langgestreckten Bucht. Eine richtige Altstadt sucht man aber leider vergeblich, da die deutschen Besatzer bei ihrem Rückzug kurz vor Ende des 2. Weltkriegs weite Teile zerstört haben, um den Alliierten nichts zu hinterlassen, was noch von Nutzen wäre. Aus Hammerfest heraus geht es zunächst steil bergauf und man hat einen guten Blick auf die gesamte Bucht und die große Erdgasverflüssigungsanlage auf der Insel Melkøya.

Rentiere am Straßenrand

Rentiere am Straßenrand

Die Straße führte jetzt an der Küste entlang nach Südosten zurück Richtung norwegisches Festland. Einen Straßenrand gab es nicht. Er wurde ersetzt durch eine kleine Betonmauer, die zum einen den Absturz ins kalte Wasser verhindern sollte, zum anderen aber auch, dass die Rentiere, die zu hunderten auf der Insel weiden, ständig auf der Straße herumstehen – was sie in einigen Fällen aber trotzdem getan haben. Nachteil der Mauer: Man kann auch bei steilsten Anstiegen nicht mehr anhalten, will man nicht mitten auf der Straße im Weg rumstehen. Auch das Wetter wurde besser, die Sonne kam raus, bald hatte ich über die Kvalsundbrücke das Festland erreicht und bog nach 50 Kilometern von der Küste in den Wald ab.

Skaidi Zentrum

Skaidi Zentrum

Dort ging es noch ein paar Höhenmeter bergauf und ich war in Skaidi angekommen, dem – und das sage ich ganz objektiv – Arsch der Welt. Der Ort hat im Grunde nur deshalb eine Bedeutung, weil hier die Straße von Hammerfest wieder auf die E6, die Hauptverbindungsstraße Norwegens in Nord-Süd-Richtung trifft. Er besteht aus einer Tankstelle mit angeschlossenem Motel und Campingplatz, einem Hotel und einem Souvenirshop, in dem man sein Geld für allerhand teuren Nippes ausgeben kann. Lange habe ich mich daher in Skaidi nicht aufgehalten, sondern bin lieber weiter gefahren. Die E6 führte jetzt fast sieben Kilometer stetig steil bergauf, dann in der Höhe an einem Fluss entlang und schließlich steil bergab zum Porsangerfjord, wo ich nach 85 Kilometern mein Tagesziel, Olderfjord, erreicht habe.

Hier bewohne ich für eine Nacht eine kleine Hütte auf einem recht stiefmütterlich gepflegten Campingplatz und bin ein wenig enttäuscht, weil sich abzeichnet, dass ich wohl nicht ganz die Strecke radeln werde, die ich mir vorgenommen hatte. Da auf den kommenden 90 Kilometern nach Honningsvåg ganze fünf Tunnel liegen, unter anderem der vier Kilometer lange Honningsvåg-Tunnel und der sieben Kilometer lange Nordkapp-Tunnel, der unterm Meer auf die Nordkappinsel Magerøy führt, wollte ich einen Teil der Strecke mit dem Bus fahren, den tunnelfreien Teil in der Mitte (ca. 40 Kilometer) radeln und vor dem Nordkapptunnel wieder in den Bus steigen. Leider fährt der aber nur zweimal am Tag. Nämlich morgens um 8:30 Uhr und dann erst wieder am späten Nachmittag um 16:50 Uhr. Das würde aber bedeuten, dass ich irgendwo auf offener Strecke stundenlang auf den nächsten Bus warten müsste. Und da habe ich nun wirklich keine Lust drauf – schon gar nicht nach meinem Tag in Skjervøy.

Stattdessen werde ich mich daher die ganze Strecke nach Honningsvåg mitnehmen lassen, ins Vandrehjem, wo ich schon ein Zimmer vorbestellt habe, einziehen und mich umgehend auf die letzten 35 Kilometer zum Nordkapp machen. Das Wetter soll morgen ohnehin schöner sein als Freitag, von daher sind meine Chancen auf die Mitternachtssonne besser als einen Tag später (und es wäre ja wohl noch schöner, wenn ich den ganzen Weg hier raus radele, nur um dann auf dem Nordkappfelsen im Nebel zu stehen…). Einziger Wermutstropfen: Meine Gesamtstrecke wird dann wahrscheinlich knapp unterhalb der 700 Kilometermarke enden. Eigentlich hatte ich gedacht, ich würde mehr Kilometer sammeln…

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Eine Antwort auf Willkommen am Arsch der Welt

  1. Arne sagt:

    Gute Entscheidung! Leicht nachzuvollziehen, finde ich. Fand’ die Tunnel auch zu gefährlich.
    Ich hätte Dir einen Schlüssel von der Jugendherberge mitgeben können! Den hab ich letztes Jahr versehentlich mitgenommen…
    Endspurt!!! Super, Zini!!!

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