Endstation Sehnsucht

Der Nordkapp-Globus um Mitternacht

Der Nordkapp-Globus um Mitternacht

Donnerstag – 7. Juli: Ich hab’s geschafft! Nach elf Tagen im Sattel und knapp 700 Kilometern quer durch Nordnorwegen stand ich am frühen Nachmittag auf dem Nordkapp. Vorher musste ich allerdings noch meine “Königsetappe” hinter mich bringen.

Wer auf Meereshöhe das Radeln anfängt und das ca. 300 Meter hohe Nordkapp-Plateau zum Ziel hat, der kann davon ausgehen, dass er irgendwo unterwegs mindestens genau diese dreihundert Höhenmeter hinaufstrampeln muss. Soviel war auch mir vor meiner letzten Etappe klar. Was ich allerdings nicht wusste war, dass ich diese Übung zumindest teilweise gleich mehrfach zu vollführen hatte. Meinen Anhänger und das Gepäck hatte ich vorsorglich direkt zuhause bzw. im Vandrerhjem in Honningsvåg gelassen, wo ich früh morgens von Olderfjord mit dem Bus hingefahren war. Eine ziemliche Erleichterung. Nicht nur, was das Bergauffahren, sondern auch was die Bewegungsfreiheit angeht. Vorher hatte ich fast jedes Foto mit dem Rad zwischen den Beinen gemacht, weil ich meinen Ein-Mann-Zug immer irgendwo hätte anlehnen müssen, was selten ging. Diesmal war ich viel flexibler, konnte mein Rad mal ablegen und herumlaufen und sogar ein Selbstauslöserbild, das mich während der Fahrt zeigt, war drin.

Der erste Anstieg

Der erste Anstieg

Die Strecke, auch wenn sie nur noch rund 35 Kilometer lang war, war recht hart. Zunächst führte die Straße für zwei Kilometer flach am Wasser entlang, dann aber musste zum ersten Mal die Reise nach oben angetreten werden. In mehreren Serpentinen ging es rauf auf 300 Meter. Und fast direkt wieder runter – zwar nicht ganz auf Meereshöhe, aber weit genug. Dann folgte der nächste lange und steile Anstieg und die nächste Abfahrt. Dieses Spiel wiederholte sich mehrfach. Anreiz und Motivation waren da zumindest, dass ich schon seit geraumer Zeit mein Ziel, die Nordkapphalle, sehen konnte – leider aber auch die Senken und Anstiege, die noch vor mir lagen.

Angekommen!

Angekommen!

Nach zweieinhalb Stunden war ich dann endlich da. An der Schranke musste ich noch 150 Kronen Eintritt zahlen, der Kassierer im Häuschen wurde genötigt, ein Foto von mir zu machen und ich durfte aufs Kapp. Auf dem äußersten Plateau bei 71º 10′ 21” Nord angekommen, wo auf einem Podest ein fünf Meter hoher Stahlglobus steht, war aber erst mal Hinten-Anstellen angesagt, bevor auch ich ein Erinnerungs- und Beweisfoto schießen konnte. Ein älterer deutscher Busreisender aus Güstrow war so freundlich, diese Aufgabe zu übernehmen. Als ich wieder vom Globus runter gestiegen war, um mich ein bisschen in der Sonne auszuruhen, kletterte auch schon der nächste Radler samt Fahrrad rauf. Ein, wie sich im etwas wirren Gespräch herausstellen sollte, noch viel härterer Knochen als ich selbst.

In Nantes gestartet

In Nantes gestartet

Es war ein 69-jähriger Franzose, den ich schon auf der Strecke überholt hatte. Er war in Nantes an der französischen Atlantikküste losgeradelt und hatte inzwischen entweder 7.000 oder sogar schon 10.000 Kilometer zurückgelegt. Ich habe es leider nicht genau verstanden. Aber auch meine Hinweise, dass ich kein oder – nur mit viel Wohlwollen – ein wenig Französisch spreche, haben ihn nicht davon abgehalten, pausenlos auf mich einzureden. Ich habe ihm dann noch geholfen, einige Fotos zu schießen, bei denen er jede seiner Packtaschen mit einem eigens dafür vorbereiteten Namensschild versehen hat. Könnte ich besser Französisch, wüsste ich jetzt warum. Ich gehe aber davon aus, dass er mir erklärt hat, seine gesamte Ausrüstung sei von Freunden zusammen geliehen, bei denen er sich so bedanken wolle. Kaum eine Stunde nachdem er ankommen war, hat er sich auch schon wieder auf den Rückweg gemacht – erst mal Richtung Rovaniemi in Finnland und dann mal gucken…

Diorama mit Negri (l.) und Chulalongkorn

Diorama mit Negri (l.) und Chulalongkorn

Nach dem Frischmachen und Umziehen auf einer der geräumigen Behinderten-Toiletten, bin ich losgezogen und habe mir die Nordkapphalle angesehen. Alles war im Grunde noch genauso, wie ich es von meinem letzten Besuch vor elf Jahren kannte. Oben die große Halle mit Restaurant, Kaffee-Bar und Souvenir-Laden. In der unteren Etage das Panorama-Kino und der Tunnel in die Grotten-Bar. In den Tunnelwänden einige Dioramen mit wichtigen historischen Stationen des Nordkapps. So zum Beispiel der Besuch des italienischen Priesters Francesco Negri, der 1664 der erste Tourist auf dem Nordkapp war. Oder Siams König Chulalongkorn, der 1907 am Nordkapp war und seinen Namen in einen Stein geritzt hat. Den Stein kann man in der Eingangshalle noch bewundern, unten im Tunnel gibt es ein thailändisches Museum mit großer Chulalongkorn-Statue. Ganz am Ende des Tunnels liegt dann die Bar, die sich unter dem Nordkapp-Plateau in einer großen Felshöhle befindet und durch deren Panoramafenster man raus aufs Eismeer blicken kann.

Zurück im Kino bin ich beim Film, der in schönen Bildern das Nordkapp und die Insel Magerøy im Wechsel der Jahreszeiten zeigt, dann eingeschlafen, so müde war ich. Bei Filmende wieder wach, musste ich mir immer noch die restlichen knapp sechs Stunden bis zur Mitternachtssonne vertreiben. Daher habe ich eine Runde an der frischen Luft gemacht, bis mich kalter Wind und aufziehender Nebel wieder rein getrieben haben. Nach einem heißen Kakao, dann der zweite Versuch, den Film ganz zu sehen, aber: zu spät! Mittlerweile waren die Touristenbusse, die das Nordkapp jeden Abend zu Dutzenden überschwemmen, angekommen und im Tunnel vor dem Kino hatte sich eine lange Schlange gebildet, in der ich wohl eine Stunde hätte warten müssen.

Die Halle füllt sich

Die Halle füllt sich

Daher habe ich mich in die Halle gesetzt, die nun ebenfalls randvoll mit Besuchern war. Hier war alles geboten, was dem Schöpfer von Touristen-Stereotypen so eingefallen ist: deutsche Bus-Touristen mit Filzhut, Kniebundhose und Spazierstock, gestikulierende Italiener, kichernde Chinesen und in dicke Daunenjacken eingemummelte Japanerinnen mit Mundschutz, einer davon sogar im Snoopy-Design. Den Vogel abgeschossen hat ein – vermutlich deutsches – Rentnerpärchen, das etwas unrund und hüftlahm hintereinander durch die Halle wankte. Er durfte rotgesichtig vorneweg gehen, musste dafür aber ihre Handtasche tragen, die er sich kurzerhand um den Hals gehangen hatte. Und da es sich um ein Modell mit eher kurzen Henkeln handelte, bommelte das koffergroße und perlmuttfarbene Ding direkt unter seinem Kinn…

Irgendwann war es dann aber soweit: Die Sonne senkte sich immer weiter dem Meer zu, der Nebel verzog sich und um Punkt zwölf war trotz einiger Wölkchen tatsächlich die schönste Mitternachtssonne zu bewundern. Entweder, was viele vorzogen, durch die großen Fenster der Halle von drinnen, oder – dann aber im kalten Ostwind, der mit einigen Windstärken über den Felsen pfiff – von draußen.

Und da stand ich nun also – müde und glücklich, nach zwölf Tagen und anstrengenden 694 Kilometern auf dem Rad, die zwar mit schmerzenden Oberschenkeln, aber ohne Verletzung und ohne auch nur die kleinste Panne abgelaufen waren und blinzelte mitten in der Nacht vom Nordkappfelsen in die Sonne. Für diesen Moment hatte ich das alles gemacht – ein wunderschöner Eindruck und der krönende Abschluss für eine schöne Reise.

Und hier geht’s zur Bildergalerie…

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7 Antworten auf Endstation Sehnsucht

  1. Arne sagt:

    Großartige Fotos. Vielleicht hätt’ ich auch im Juli fahren sollen ;-)
    Zini, Du alte Granate! Super gemacht!!! Herzlichen Glückwunsch und schön viel Euphorie für die Heimreise! Freue mich auf’s nächste Grillen mit Pølse (oder wie heißt “Wurst” auf Norwegisch?) und Geschichten! Also nochmals: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!!!

  2. Mari sagt:

    Hurra for dæ, Andreas vårres! Vi gleeeede oss te du kjæm neover igjæn!

  3. Nicole Scherschun sagt:

    Andreas, Respekt!!! Ich weiß jetzt schon, dass ich die tägliche Dosis “Andreas strampelt sich ab” vermissen werde. Übrigens erzähle ich auch als völlig Außenstehende ständig anderen Leuten von deiner Reise – irgendwie passt es grad immer in den Kontext und irgendwie hat grad jeder um mich herum – exklusive mir – mal so eine Fahrradtour gemacht. Bei Nordkapp raunen mir die meisten dann ein “ohhhahhh” oder “ahhhhhoohhhhh” entgegen. “Wow!” kommt auch mal vor… Ich selbst werde ein bisschen neidisch neidisch und der Ehrgeiz packt mich! :-) Ich wüsche dir eine gute Heimreise!!!

  4. Luczak sagt:

    Zini, sensationell!!! Gratuliere, habe jeden Bericht mit viel Interesse gelesen und bin wohl doch ein wenig ein Norwegen Fan geworden, Danke!!!Greetz Daniel

  5. Nils sagt:

    Andreas!
    Velkommen nedover igjen – jeg møter deg på Stjørdal Stasjon når du kommer! Ring meg eller maile meg tidspunktet.

    God tur!

    Nils

  6. simon sagt:

    Hallo Andreas!

    Ein sehr informativer Blog !! habe mir viele infos und eindrücke Rausholen können. wir fahren heuer zum ersten mal ( Trondheim- Lofoten) doch eine Frag hab ich noch:
    Von wo bist du nach hause geflogen? Harstad/Narvik Evenes? Wie hast du dein Rad für den Flug verpackt?

    Danke für die Antwort und schon mal viel Glück für die Nächste reise :-)

    Lg Simon

    • az sagt:

      Hallo Simon,

      danke, danke!!! Schön, dass Dir die Seite gefällt!

      Ich bin nicht zurückgeflogen, sondern bin nach einem Ruhetag in Honningsvag wieder auf die Hurtigrute gestiegen und ohne (teure) Kabine, also nur mit Deckpassage wieder nach Süden (nach Bodö) gereist. Das geht zwar langsam, ist aber einigermaßen bezahlbar und sehr entspannend und man hat so nochmal Gelegenheit, sich Nordnorwegen vom Meer aus anzuschauen.

      Allerdings empfehle ich, auch wenn keine Kabine gebucht wird, zu reservieren. Ich musste nämlich kurz vor den Lofoten aussteigen, weil dann eine große Gruppe zugestiegen ist und der Platz in den Rettungsbooten nicht mehr gereicht hätte. Danach ging es für mich dann mit dem Bus weiter bis Bodö – das war dann weniger schön.

      Wenn ihr von den Lofoten wieder zurück nach Trondheim wollt, geht das eigentlich auch mit Fähre und Zug ganz gut. Erst mit der Fähre nach Bodö und dann mit dem Zug nach Trondheim. Die Fahrradmitnahme im Zug muss allerdings vorher reserviert werden. Da gibt es immer nur sehr begrenzt Platz pro Zug.

      Schöner ist aber die Tour mit der Hurtigrute – besonders wenn es an den Lofoten vorbei geht…

      Beim Fliegen mit Fahrrad habe ich leider keine Erfahrung.

      Falls Du sie nicht schon selbst gefunden hast, hier ist eine Seite mit allgemeinen Infos:
      http://www.radreise-wiki.de/Fahrradtransport_im_Flugzeug

      Euch eine schöne Reise!
      Und: Lykke til!
      Andreas

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