Auch ein Samurai kriegt mal nasse Füße

Die Lofoten bei schlechtem Wetter

Die Lofoten bei schlechtem Wetter

Dienstag – 28. Juni: Nachdem ich während der ersten beiden Etappen vom guten Wetter mehr als nur ein bisschen verwöhnt war, hatte ich heute etwas, was die Iren “a soft day” nennen. Mit anderen Worten, es hat geregnet wie Sau, was aber der guten Stimmung keinen Abbruch getan hat.

Ich habe den Tag einigermaßen faul angefangen, was zum einem mit meinen schweren Beinen, zum anderen aber auch mit dem bereits erwähnten schlechten Wetter zu tun hatte. Kurz vor meiner Abfahrt in Henningsvær fing es an zu regnen und sollte auch bis zum Ende des Tages – abgesehen von kurzen Unterbrechungen – nicht mehr aufhören. Gut, dass ich den Film “Ghost Dog” von Jim Jarmusch zu meinen Favoriten zähle. Dort wird immer wieder aus dem Hagakure, dem Verhaltenskodex der japanischen Samurai, zitiert. Unter anderem steht dort wohl sinngemäß: “Wer sich beim Regen beeilt, den Regentropfen zu entkommen, der wird bis auf die Haut durchnässt. Wer sich aber Zeit lässt und jeden Schritt mit Bedacht macht, der wird nicht nass werden.” Das wollte ich dann doch gleich mal ausprobieren.

Zunächst aber habe ich etwas sehr vernünftiges getan: Ich bin zur nächsten Post geradelt – in Henningsvær befindet sich die im örtlichen Supermarkt – und habe ein Paket voll mit Sachen, die ich nicht brauchen werde, zurück nach Hell geschickt. Was für eine Erleichterung: mit einem Schlag knapp zwei Kilo weniger auf dem Anhänger. So viel leichter bepackt, musste ich zunächst den Weg zurück zur Hauptstraße E10 finden. Und das ging trotz meiner Befürchtungen vom Vortag viel schneller und einfacher als erwartet. Ich vermute daher, mein Herumgenöhle von gestern Abend, kam vom Pudding, der sich über die Kilometer in Beinen und Kopf angesammelt hatte.

Blick zurück in den Tunnel

Blick zurück in den Tunnel

Erste Bewährungsprobe auf meiner Etappe, die mich zunächst nur über ca. 25 Kilometer bis nach Svolvær bringen sollte, damit ich dort anhand des Zustands meiner Oberschenkel entscheiden könnte, ob ich noch weiter fahre oder nicht, war der knapp 800 Meter lange Rørvikskartunnel. Der war zwar beleuchtet, in diesem Fall bedeutete “beleuchtet” aber, dass die Lampen alle fünfzig Meter so funzelig wurden, dass diese Abschnitte zappenduster waren und sich auch durch meine – ebenfalls recht funzelige Aufstecklampe – nicht wirklich erhellen ließen. Kein schönes Gefühl, wenn man mitten im Verkehr quasi einen Blindflug mit Anhänger macht.

Zweites Frühstück in Svolvaer

Zweites Frühstück in Svolvaer

Danach war ich recht schnell in Svolvær, dem Hauptverkehrsknotenpunkt der Lofoten. Besonders schön ist der Ort nicht, außerdem hatte ich schon bei meinem letzten Besuch im vergangenen Sommer die große Fotorunde gemacht (und mir anschließend in einer Bar eine Flasche seit einem Jahr abgelaufenen Bitter Lemon mit Seifengeschmack verkaufen lassen). Daher bin ich diesmal nur auf den Marktplatz gerollt und habe ein zweites Frühstück eingelegt. Dabei hat mir Martin Gesellschaft geleistet, ein Schwede, dem ich schon gestern kurz nach dem Start begegnet war. Er ist vor einigen Wochen in Göteborg losgefahren und weiß noch nicht genau, wo es hingeht. Einziger Fixpunkt: In einem Monat hat er eine Verabredung mit Freunden in Lulea, in Nordschweden, danach will er vielleicht noch nach Osteuropa radeln (hier der Link zu seinem Blog – für die, die gerne Schwedisch lesen…).

Unterwegs nach Stokmarknes

Unterwegs nach Stokmarknes

Die Beine waren immer noch gut, das Wetter fortgesetzt schlecht, also fiel schnell die Entscheidung, weiter zu radeln. Espen, ein ehemaliger Studienkollege aus meinem Auslandssemester in Kristiansand, wohnt mittlerweile in Stokmarknes, einer kleinen Stadt ca. 50 Kilometer weiter und bei ihm hatte ich mich ohnehin schon mal lose auf einen Kaffee angemeldet. Die Straße führte jetzt über die Ostseite der Insel Austvagøy, vorbei an teilweise schneebedeckten Bergketten auf der anderen Fjordseite, die bei besseren Wetter sicher noch schöner gewesen wären. Immer noch ging es ständig hoch und runter, jetzt aber mit deutlich längeren flachen Abschnitten dazwischen.

In Fiskebøl musste ich die Fjordfähre nach Melbu nehmen. Das liegt schon nicht mehr auf den Lofoten, sondern auf der Nachbarinselgruppe, den Vesterålen. Zeit und Gelegenheit, etwas Warmes zu essen. In Anbetracht der etwas spärlichen Auswahl an Bord, entschied ich mich für ein heißes Würstchen im Brot. In Norwegen eine gefährliche Sache, jedenfalls dann, wenn man geschmacklich an deutsche Wurst gewöhnt ist (ich sollte vielleicht mal ein eigenes Kapitel über norwegische Würste schreiben…). Ich hatte jedenfalls eine Baconpølse geordert, wie sich herausstellte eine Bockwurst, gefüllt mit Käse, der durch welches Verfahren auch immer den Geschmack von gebratenem, rohem Schinken angenommen hatte. Ein heißer Kakao musste hinterher meine Geschmacksnerven wieder in Ordnung bringen.

Die MS Vesterålen holt mich ab

Die MS Vesterålen holt mich ab

In Melbu rollte überraschenderweise auch Martin, den ich weit hinter mir wähnte, mit von Bord. Also haben wir die letzten 15 meiner 76 Tageskilometer nach Stokmarknes gemeinsam in Angriff genommen – immer noch im dicksten Regen übrigens. Dort angekommen ist er gleich weiter gefahren, während ich mich in der Toilette des ortsansässigen Hurtigruten-Museums umgezogen und auf Espen gewartet habe – das war dann allerdings nicht mehr in der Toilette, sondern im Pub nebenan. Einen schönen und gemütlichen Abend später, bin ich um 1.30 Uhr an Bord der Hurtigrute gegangen. Ausgerechnet die “MS Vesterålen” war es, die mich abgeholt hat, ein Schiff, das ich aus dem vergangenen Jahr bestens kenne und das dadurch besticht, dass es weder den Komfort der modernen noch den Charme der alten Hurtigruten-Schiffe besitzt. Wie auch immer, jedenfalls wird die “Vesterålen” mich heute Nacht nach Risøyhamn, zum Startpunkt meiner nächsten Etappe, bringen.

Ach ja, und noch ein Wort zum Hagakure: Das mit dem Regen und dem nicht-nass-werden mag im alten Japan funktioniert haben – hier in Nordnorwegen tut es das definitiv nicht.

Hier geht’s zur Bildergalerie…

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7 Antworten auf Auch ein Samurai kriegt mal nasse Füße

  1. uz sagt:

    knowledge to knowledge, baby!

    • az sagt:

      @uz: Power Equality, Ghost Dog!

      @arne: Hab schon ein Projekt im Auge, dass wir nächstes Jahr zusammen angehen können… Ich sach aba nix…!!!

  2. Arne sagt:

    Ich erinnere mich gut: “Alles muss dokumentiert werden!”. Und mit der Vesterålen war’s doch nicht sooo schlimm! Und an den Regen erinnere ich mich leider auch!
    Kommst ja gut voran! Klingt alles noch gut motiviert. Ich werd’ jeden Blog melancholischer und neidischer! Schon Fischadler gesehen?

  3. Nils sagt:

    På Hell skal det bli 28 grader idag!! Håper du får noe av det været også. Følger spent med deg og takk for noen fine bilder og spenende reiseskildring. God tur videre!
    Svigerfar

  4. Christel sagt:

    Du Armer! Bei uns war es gestern über 30 °! Wir hatten bei der Fährüberfahrt zu den Vesteralen mit unserem Essen mehr Glück, es gab “lefse”!
    Weiterhin “gute Beine” und viel Glück
    Mama

  5. Alex sagt:

    “When the Going Gets Tough, the Tough Get Going” – Na immerhin kriegst Du keinen Sonnenbrand :)

    Fantastische Fotos, man bekommt große Lust, selbst mal hinzufahren..

  6. Emanuel sagt:

    Hi Ich vermisse den Gefaellt mir Button? :-)

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