Donnerstag – 30. Juni: Für einen Tag habe ich den Fahrradsattel verlassen und bin von der Straße aufs Wasser gewechselt. Eine Wal-Safari vor der Küste von Andøya stand auf meinem Programm. Ein sehr lohnenswerter Ausflug, bei dem ich den sanften Riesen ganz nahe gekommen bin.
“Nennt mich Ismael!” – mit diesem Satz beginnt der Roman “Moby Dick” von Hermann Melville. Es geht um die Fahrt des Walfangschiffs “Pequod”, dessen Kapitän Ahab sich voller Hass auf die Jagd nach Moby Dick macht, dem weißen Wal, der ihm einst ein Bein abgerissen hat. Dabei opfert er letztendlich sich und seine gesamte Mannschaft. Nur Ismael, der Ich-Erzähler, kommt mit dem Leben davon.
Mein Glück, dass mein Kapitän am heutigen Tag nicht Ahab sondern Geir hieß. Geir hatte noch beide Beine, keine lange weiße Narbe im Gesicht und sah auch sonst nicht aus wie Gregory Peck, sondern hatte eher Ähnlichkeit mit einem Panzergrenadier der Bundeswehr (siehe unten). Mit ihm und der “MS Reine” bin ich heute raus aufs Meer gefahren, um Pottwale zu sehen. Da nur wenige Kilometer vor Andenes die Kontinentalplatte unter dem Meer steil abbricht und mit den aufströmenden kalten Wassermassen sehr viel Plankton und Krill nach oben kommen, sind die Gewässer sehr fischreich. Gute Lebensbedingungen für Pottwale.
Das alles weiß ich, weil vor der Praxis auch bei der Wal-Safari die Theorie kommt. Deswegen startete das Ganze auch nicht am Hafen, sondern in der Ausstellung des Wal-Museums. Hier erfuhr ich von Lindis, dem norwegischen Guide, alles über Größe, Gewicht, Verhalten, Abstammung und den Lebensraum der Wale. Zum Beispiel wusste ich vorher nicht, dass Pottwale nur durch das linke Nasenloch atmen. Das rechte nutzen sie, um Klicklaute von sich zu geben. Eine Information, die später noch wichtig werden würde.
Nach der Führung durchs Museum ging es zu Fuß zum Hafen und dort an Bord der “MS Reine”, einem schon etwas älteren Boot, für das ich mich aber bewusst entschieden hatte, weil es deutlich mehr Charme besaß als der moderne Motor-Katamaran, den man auch hätte nehmen können. Eine Pille gegen Seekrankheit hatte man uns gleich nach der Begrüßung im Museum schon verabreicht, also konnte es losgehen. Ungefähr eine Stunde lang sollte das Schiff nach Westen fahren, in die Gegend, wo die Pottwale zwischen ihren 30- bis 40-minütigen Tauchgängen jeweils für ein paar Minuten an der Wasseroberfläche ausruhen, bevor sie erneut abtauchen.
Mit an Bord waren auch drei Guides und zwei Forscher des Wal-Zentrums. Die einen zum Erklären, die anderen, weil jede Ausfahrt – und sei es mit Touristen – auch im Dienste der Wissenschaft steht. Geir, der Kapitän, fuhr die ganze Zeit mit Kopfhörern, da er während der Fahrt die Klicklaute der Wale abhörte und anhand von ihnen zu bestimmen versuchte, wo ein Wal an die Oberfläche kommen könnte. Das Klicken folgt nämlich folgender Logik: Steht der Wal unter Wasser, klickt er langsam und regelmäßig. Bewegt er sich auf Beute zu, klickt er schneller. Hört er auf zu klicken, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er demnächst auftauchen wird. Eigentlich ganz einfach also. Allerdings ist es unmöglich vorherzusagen, ob er tatsächlich und wo genau er aus dem Wasser kommen wird. Und so hatten wir zunächst auch kein Glück, bis sich irgendwann dann doch der erste Pottwal zeigte.
Eine Wasserfontäne und ein grau glänzender Walrücken ein paar hundert Meter vor dem Boot. Die “Reine” fuhr langsam näher und legte sich direkt hinter den Wal, um uns Fotografen in die beste Position für den Moment zu bringen, wenn das Tier abtaucht und dabei seine Schwanzflosse aus dem Wasser hebt. Leider hat der erste Pottwal bei diesem Spiel aber nicht mitgemacht, sondern war plötzlich auch ohne seine Flosse zu zeigen verschwunden. Also hieß es wieder warten, ein wenig auf dem – zum Glück recht ruhigen – Meer hin und her zu kreuzen, bis irgendwo die nächste Atemfontäne auftauchte.
Dieser Ablauf wiederholte sich in den kommenden zweieinhalb Stunden noch ein paar Mal und am Ende konnten wir auf die stolze Bilanz von fünf Pottwalen (eigentlich waren es nur zwei Tiere, die aber mehrfach ab- und wieder aufgetaucht sind) und einem kleineren Minkwal blicken. Während der Rückfahrt in den Hafen gab es noch eine heiße Gemüsesuppe, die ich aber lieber ausgeschlagen habe, da mein Magen, trotz des eher mäßigen Seegangs und der Tablette vorher, nicht ganz auf der Höhe war.
Doch trotz der Übelkeit war es ein großartiges und unvergessliches Erlebnis. Nur ein paar Meter entfernt von tonnenschweren Pottwalen, die scheinbar seelenruhig vor einem im Wasser liegen. Die Bewegung und das leichte Rauschen der Wellen, der Wal, der immer wieder laut schnaubend eine Wasserfontäne nach oben pustet und völlige Stille an Bord, nur gestört vom Klicken der Kameras. Was für eine tolle Erfahrung.
Traumhaft!
Sehr schön, beneide dich….zwar nicht für das Strampeln, aber die schönen Eindrücke!
“ich will die Augen von den Wahl gucken!”